Es wird uns nicht berichtet, wie die Zeit der Verborgenheit im Leben des Herrn zu Ende ging. [ ...]
Wie Jesus zum Jordan kommt, liegt hinter Ihm das tiefe Erfahren der Kindheit und der langen Jahre des "Zunehmens an Alter, Weisheit und Gnade" (Lk 2, 52). Das Bewußtsein der ungeheuren Aufgabe und aus unergründlichen Tiefen aufsteigende Kräfte leben in Ihm - die erste Gebärde aber, die wir von Ihm sehen, und das erste Wort, das Er spricht, sind Demut. Nirgendwo der Anspruch der Ungewöhnlichkeit, der sagt: "Das gilt für andere, nicht für mich!" Er kommt zu Johannes und verlangt die Taufe. Sie verlangen, heißt das Wort des Täufers annehmen und sich als Sünder bekennen; Buße tun und sich dem öffnen, was von Gott her kommen will. So verstehen wir, wie Johannes erschrocken abwehrt. Jesus aber tritt in die Reihe. Er beansprucht keine Ausnahme, sondern stellt sich unter die "Gerechtigkeit", die für alle gilt.
Auf dieses Hinabsteigen in die Menschentiefe antwortet der Ausbruch aus der Höhe. Die Himmel öffnen sich. Die Schranke, die den allgegenwärtigen Gott in seinem Himmel, seinem seligen Bei-sich-Sein, von uns absperrt - nämlich der Mensch selbst in seiner gefallenen Geschöpflichkeit, und daß er die Welt mit sich gerissen hat, und sie nun "der Vergänglichkeit unterworfen ist" (Röm 8,20) - diese Schranke tut sich auf. Ein unendliches Begegnen geschieht. Dem Menschenherzen Jesu strömt die offene Fülle des Vaters entgegen. "Während Er betet", geschieht es, sagt Lukas, und scheint damit anzudeuten, daß es ein innerer Vorgang ist (3,21). Wohl wirklich; wirklicher als alle greifbaren Dinge ringsumher; aber innerlich, "im Geiste". [ ...]
Die Macht des Geistes kommt über Jesus, und in das überschwengliche Begegnen, in die Gottesfülle des Augenblicks tönt das Wort des väterlichen Liebe, das bei Lukas als Anrede steht: "Du bist mein geliebter Sohn; an Dir habe ich mein Wohlgefallen!" (Lk 3, 22) Und so, "des Heiligen Geistes voll, verläßt Jesus den Jordan und wandert im Geiste in die Wüste"(Lk 4,1).
(Romano Guardini)